Das 84. Lebensjahr (Leseprobe)

Lebensjahrbeschreibung

Nach dem Suizidversuch des 84-jährigen Unternehmers Wolfgang Grupp aus Burladingen in Deutschland, der mit 27 Jahren die Fabrik seines Vaters übernommen hatte, kochte öffentlich die Diskussion über die Gefährlichkeit einer übersteigerten Arbeitsmentalität hoch. Grupp, der zeitlebens für längere Arbeitszeiten eintrat und stolz darauf verwies, dass seine Mitarbeiter krank zur Arbeit kämen, erklärte seinen Suizid mit seiner Altersdepression und dem Zweifel, „ob man überhaupt noch gebraucht wird“! Nachdem ihm der Konjunkturaufschwung seiner Firma viele Jahre das Wichtigste war, überraschte ihn mit 84 Jahren eine innere Gedrücktheit, eine Schwermut und Trübsinn. Er schrieb einen Abschiedsbrief und wandte sich damit an seine Mitarbeiter und an seine Familie. Danach versuchte er, sich zu erschießen. Manch ein Leser, der die Nachricht von Grupps Suizidversuch las, wunderte sich über dessen Problem. Immerhin sehen sich Abertausende Arbeitnehmer heutzutage mit einem frühen Zwangsruhestand konfrontiert, ohne dass sie den Suizid-Ausweg wählen. Wäre dem so, wären Tausende Bestatter mit der Beisetzung von in Trübsinn verfallenen Senioren beschäftigt. Warum also hat gerade der finanziell gut ausgestattete Alt-Unternehmer Grupp ein Problem damit, „nicht mehr gebraucht zu werden?“ Brennt ihm vielleicht das Gefühl der Nutzlosigkeit unter den Nägeln, weil alle Welt dem Jugendwahn in den Medien frönt? Man hört allenthalben, die Welt sei heute auf Jugend getrimmt. Das ginge so weit, dass die Jungen die ausgeprägte Arbeitsmentalität der Älteren ablehnen, um sich einen schönen Lenz zu machen. Das klingt so, als seien die Jungen schon heute die Alten von morgen. Sie glauben, der Wohlstand käme von selbst über sie.


Viele jungen Menschen von heute halten den Vergleich mit den fleißigen alten Menschen nicht mehr stand. Doch warum suchen fleißige Alte wie Grupp dann den Freitod? Ist es nicht seltsam, sich das Leben nehmen zu wollen, bei all der zur Schau getragenen Haltung des fleißigen und ehrlichen Geschäftsmanns? Ein Leser schreibt: „Wieso Altersdepression? Der Mann hat das Unternehmen 50 Jahre erfolgreich geführt, immer Klartext geredert, da muss sich doch ein ausgeprägtes Selbstvertrauen aufgebaut haben.“ Ein anderer Leser antwortet: „Er will immer noch im Mittelpunkt stehen. Er verkraftet es nicht, dass es die jungen Leute und 1200 Mitarbeiter auch ohne ihn schaffen.“ Hier prallen zwei Welten aufeinander. Zum einen das Grupp-Gefühl, mit 84 nicht mehr gebraucht zu werden. Zum anderen die Kinder, die den Laden jetzt schmeißen. Ein Konflikt der Generationen. Auf der einen Seite das Verlustempfinden derjenigen, welche für viele Lebensjahre ihre ganze Kraft mobilisiert haben, um im Job, in der Karriere und beim Geld die Nase vorn zu haben. Auf der anderen Seite, die Jüngeren, die nicht undankbar sind, wenn sie feststellen, dass es ein Trugschluss ist, wenn Grupp Senior glaubt, dass es ohne ihn nicht geht.


Es ist der normale Lauf der Welt. Grupp und seine Altersgenossen müssen mit 84 lernen, dass sie mit ihrer Haltung den Jüngeren im Weg stehen. Ein Leser schreibt: „Man ist im Alter nur noch der letzte Dreck. Auf der Straße ist man zu langsam, an der Kasse im Supermarkt stört man die anderen, die es eilig haben oder man blockiert eine Wohnung, welche die Jüngeren mit ihrem Baby viel besser gebrauchen können.“ Warum aber ist es so, dass auf die Erfahrung das Wissen der Alten heute nichts mehr gegeben wird? Warum werden sie sinnbildlich nur niedergetrampelt?


Früher war das noch anders. Da hatten die Jungen noch Respekt vor den Alten. Da gab es eine Kultur der Verehrung den Alten gegenüber. Diese Verehrung hatte ihren Grund in der Tatsache, dass die älteren weise und erfahren waren. Die Hochachtung des Alters beruhte auf dem Vorsprung an Entwicklungskraft, der sich gerade nicht auf die schnöde Arbeitsmoral, sondern auf die seelische Reife eines Menschen konzentrierte. Von der vielen Arbeit bleibt am Ende kein Selbstbewusstsein übrig, sondern gähnende Leere in der Seele. Versäumt wurde, die Seele mit Weisheit und seelischer Reife zu füllen. Dieses Versäumnis mit 84 nachzuholen, ist kaum möglich. Man hätte mit 42 Jahren, spätestens aber mit 63 damit anfangen müssen. Was junge Menschen heute an den Alten vermissen, ist das Gefühl, von den den älteren nichts mehr lernen zu können. Die Geringschätzung des Alters ist ein seelischer Entwicklungsmangel der westlichen Menschheit. Tatsächlich wird im Westen das moralische Wachstum nicht gefördert. Man hält eine Entwicklung über die herkömmlichen Regeln der Gesellschaft hinaus für einen faulen Zauber. Man glaubt, mit 30 Lebensjahren moralisch ausgelernt zu haben. Man kennt die Regeln der Gesellschaft, hält sich an die Gesetze und ist ansonsten seiner selbst sicher. Diese Selbstsicherheit aber lässt mit der Zeit in dem Maße nach, wie man sich seelisch nicht weitergebildet hat.


Wie viele 84-jährige kann Wolfgang Grupp kann auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken. Auf seelischem Gebiet hat er sich auf seine Tatkraft und auf seine Selbstsicherheit verlassen. Die aber verliert mit dem Anstieg des Alters ihren Wert, wenn nicht ein neues, zukunftsträchtiges und spirituelles Element im Inneren des Menschen hinzukommt. Wir können im Alter nur selbstsicher bleiben, wenn wir uns einen erwartungsvollen Blick für die Zukunft erarbeitet haben. Dazu gehört ein Wissen, was es mit der geistigen Existenz auf sich hat, die uns nach dem physischen Tod erwartet. Dieses Thema hatte früher einmal mit Religion zu tun. Für den modernen Menschen geht es darum, Vorsorge zu treffen für eine Zukunft in der geistigen Welt. Für eine auskömmliche Existenz in der geistigen Welt ist eine außergewöhnliche Unternehmerkarriere keine Eintrittskarte. Materielle Werte verlieren in dieser Umgebung ihre Bedeutung. Erfolg auf der Erde hindert uns eher daran, nach dem Tod auf das Wesentliche des Lebens zu schauen. Nicht die strukturelle Ausrichtung der Firma auf die Märkte steht als Thema im Mittelpunkt, nachdem wir gestorben sind, sondern die tieferen moralischen Erkenntnisse über die Welt in ihrem Werden.


Der Unternehmer scheint nun auf dem Weg der Besserung zu sein. Es gehe ihm „den Umständen entsprechend gut”, lässt Grupp die Öffentlichkeit wissen. Dennoch könne es „etwas länger dauern, bis ich wieder ganz gesund bin“. Grupp bedankt sich bei den Ärzten sowie bei Pflege- und Rettungskräften für ihre Unterstützung. Sein besonderer Dank gilt „meiner Frau Elisabeth und meinen Kindern Bonita und Wolfgang, sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma.“


Viele sprechen Wolfgang Grupp Mut zu. So auch die hochbetagte Marika Kilius: „Dieses dunkle Loch kommt oft schleichend.“ Die Ex-Eiskunstlauf- Weltmeisterin warnt davor, sich nur auf diesseitiges zu beschränken: „Ich kann nur jedem raten, sich in solchen Momenten auch spirituell begleiten zu lassen.“ Aber vielleicht sollte Herr Grupp erst einmal daran arbeiten, nicht mehr so wichtig zu sein. Er sollte es genießen, nicht mehr im Hamsterrad von Termindruck und Anfragen zu stehen. Er sollte sich seine Selbstständigkeit, die er als Chef vieler Angestellter oftmals an Untergebene weggeben hat, wieder zurückerobern: Das heißt also, nicht alles auf null schalten, im Gegenteil: Man kann versuchen, möglichst lange gesund und selbstständig zu bleiben. Das heißt, immer selbst Auto fahren, selbst einkaufen und sich lokal engagieren, beispielsweise in einem Brot-Back-Klub für Senioren.
Auch Howard Carpendale hat unterstützende Worte an Wolfgang Grupp gerichtet. Der 79-jährige Sänger scheint sich in den Schilderungen des Unternehmers wiederzuerkennen. Im Gespräch mit der „Bild“-Zeitung richtet Carpendale persönliche Worte an Grupp. „Lieber Herr Grupp, Ziele im Leben sind ganz wichtig. Aber man kann nach so einem erfolgreichen Leben auch kleine Ziele kreieren. Ich weiß, dass das zu einfach klingt – und doch: Es geht. Wenn man 200 Kilometer pro Stunde durchs Leben gerast ist, kommt man auch mit 80 noch vorwärts – langsamer, aber bewusster“, erklärt Carpendale und fügt hinzu: „Und dann sieht man plötzlich, wie schön diese Welt ist. Probieren Sie es. Ich weiß, dass es geht.“ Er selbst war fünf Jahre lang „sehr depressiv“.

Dein persönlicher Biografie-Tipp für das 84. Lebensjahr

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